Der "Benzinverbrauch" von Fahrradfahrern
Hätten Sie gedacht dass sich die Nutzung von Muskelkraft ökologisch schädlicher auswirkt, als die Nutzung von Dieselmotoren für die gleiche Menge an Arbeit? Klingt schrecklich, ist aber wahr.
Die folgende Abhandlung wird ganz sicher nicht die positive Rolle des Fahrrades für die Umwelt in Frage stellen (ich bin selber überzeugter Alltags-Fahrradfahrer). Sie zeigt jedoch in exemplarischer Weise, dass der maßvolle Umgang mit jeglichen Ressourcen der wichtigste Baustein einer nachhaltigen Entwicklung ist.
Die Grundlage dieses Textes sind zwei Studien über die ökologischen Auswirkungen unserer Ernährung und ein Leistungsrechner für Fahrradfahrer:
Energiebilanz der Nahrung
Eine Studie der Universität in Giessen ist im Internet unter http://bibd.uni-giessen.de/gdoc/2000/uni/d000074.pdf zu finden. In dem Dokument ist auf Seite 140 (S. 152 im Acrobat) eine Zusammenfassung des kumulierten Energieaufwandes für die Nahrungsaufnahme pro Jahr von Europäern zu finden (übrigens auch bei Vegetariern und bei ökologischem Anbau bei verarbeiteten Lebensmitteln, die nicht roh gegessen werden). Selbst der genügsame Ovo-Lacto-Vegetarier benötigt über 12.200 MJ (entsprechend rund 300 Litern Erdöl) pro Jahr an fossilen Energien zur Bereitstellung der Nahrungsmittel durch Landmaschinen, Düngung, Verpackung, Transport, industrielle Verarbeitung, Kühlung und Zubereitung in den Haushalten.
Wenn ich dem gegenüber einen Tagesbedarf von 10 MJ (eher großzügig bemessen) an 365 Tagen annehme, komme ich auf einen Jahres-Energiebedarf von 3650 MJ an in den Nahrungsmitteln enthaltener Energie (entsprechend weniger als 100 Litern Erdöl), der durch diese Lebensmittel gedeckt werden muss.
Die Ernährung erfordert also zu ihrer Bereitstellung rund die 3,3 fache Energiemenge dessen, was die Nahrungsmittel an Energie beinhalten.
Eine weitere Studie der ETCH (http://e-collection.ethbib.ethz.ch/ecol-pool/diss/fulltext/eth13499.pdf) gibt den Faktor von benötigem kumuliertem Energieaufwand zur in der Nahrung enthaltenen Energie auf Seite 227 (S. 259 im Acrobat) als Energiequotient mit 4,1 an
Wirkungsgrad der Muskelarbeit
Bei Fahrradfahrern werden 25% Wirkungsgrad bezogen auf die bei sportlicher Tätigkeit erhöhte Sauerstoffaufnahme berichtet. Der Grundbedarf an Lebensmitteln ist also nicht mit eingerechnet. Ferner nehme ich an, daß im reellen Betrieb Dieselmotoren einen Wirkungsgrad von unter 25 % haben (bei Dieselmotoren werden Wirkungsgrade bis 45 % im Bestpunkt angegeben). Die Aufnahme zusätzlicher Energie für die Verrichtung mechanischer Arbeit ist also beim Fahrradfahrer in der Größenordnung ähnlich zum Dieselmotor, natürlich nur im Verhältnis zur geleisteten Arbeit.
Ist Muskel-Arbeit unwirtschaftlicher als Diesel-Arbeit?
Wenn man die Arbeit aus Muskelkraft mit gleicher Arbeit aus Dieselmotoren vergleicht, ist tatsächlich selbst aus ökologischer Sicht der Dieselmotor im Vorteil. Leider wird angesichts des Mobilitätswahns die Arbeit von Dieselmotoren oder den unwirtschaftlicheren Benzinmotoren bei weitem nicht so effizient eingesetzt, wie die Arbeit aus Muskelkraft. Das liegt an der simplen Tatsache, dass es den Fahrer eines Autos wenig Anstrengung kostet, vermittels des Gaspedals große Energiemengen abzurufen. In der Folge wissen heute die wenigsten Autofahrer noch, wie schwer ihr Auto ist und wie groß der Luftwiderstand ist. Die Fahrradfahrer haben da eher ein Gefühl für Gewicht und Luftwiderstand und benötigen in der Gesamtbilanz nur einen Bruchteil der Gesamtenergie eines PKW. Ferner wählen sie die zu fahrenden Strecken eher mit Bedacht. In der Konsequenz ist das Fahrrad in der Ökobilanz unschlagbar. Aber eben nicht, weil die Muskelkraft ach so regenerativ ist, sondern, weil sie effizient eingesetzt wird und weil die Mobilität nach dem tatsächlichen Nutzen gründlich abgewogen wird. Unnötige Strecken werden in der Regel gemieden oder nur zu Trainingszwecken gefahren.
Nebenbei ist noch nicht gesagt, dass Fahrradfahrer tatsächlich mehr essen (wenn sie nicht gerade die Tour de France fahren), als Stubenhocker und Autofahrer. Vielfach sind sie einfach schlanker, muskulöser und attraktiver als Autofahrer.
Das 0,7-Liter-Fahrrad
Ein sportlich-gemütlicher Fahrradfahrer leistet rund 100 bis 150 W bzw. 0,2 PS. Für die folgende Verbrauchsberechnung ziehen wir den Leistungsrechner für Fahrradfahrer auf der Website von Walter Zorn (www.kreuzotter.de/deutsch/speed.htm) hinzu. Nehmen wir also an, dass ein Mountainbikefahrer mit 71 kg und 150 W konstanter Leistung vier Stunden lang mit einer Geschwindigkeit von 25 km/h insgesamt 100 km fährt, so benötigt er in dieser Zeit 150 x 4 x 3600 J bzw. 2,2 MJ mechanischer Energie. Bei einem angenommenen Wirkungsgrad von 25% benötigt er die vierfache Menge an in Nahrungsmitteln enthaltener Energie, nämlich 8,6 MJ. Diese Energie ist nach dem Leistungsrechner von Walter Zorn beispielsweise in 3,8 Tafeln Schokolade oder 900 g Spaghetti Bolognese enthalten. Übertragen wir den Faktor von 3,3 für die Herstellung der Nahrungsmittel auf die in der Nahrung enthaltene Energie, dann benötigt der Radler rund 28,5 MJ zusätzliche Energie für diese Fahrt. Umgerechnet auf die Energiedichte von Rohöl wären dies rund 0,7 l/100 km. Ein Liegeradfahrer käme bereits mit weniger als 0,5 l/100 km aus. Fährt ein Vielfahrer mit Mountainbike jährlich 10.000 km im Jahr (z.B bei 10 km einfachem Weg in die Arbeit + Freizeit + Urlaub), so benötigt er jährlich die Energie von rund 70 Litern Rohöl. Das nimmt sich im Verhältnis zu Heizenergie, Stromverbrauch und Benzinverbrauch eines Durchschnitts-Verbrauchers recht bescheiden aus.
Vielleicht ist es auch verkehrt, den Energiebedarf des Fahrradfahrers dem Verkehrsmittel "Fahrrad" anzulasten. Das Problem des hier beschriebenen Ressourcenverbrauchs ergibt sich ja aus dem aktuellen Umgang mit Lebensmitteln. Bei biologischer Bepflanzung und direkteren Wegen vom Acker auf den Teller ist im Prinzip eine Ernährung ohne jeglichen Verbrauch von fossiler Energie denkbar. In diesem Sinne könnte das Fahrrad auch als Zero-Emission-Vehicle bezeichnet (ZEV) werden. Das einzige echte "ZEV" überhaupt!
Leider gibt es keine Dieselmotoren, die bei einer Leistung von weit unter 375 W (0,5PS) noch akzeptable Wirkungsgrade aufweisen, sonst könnten Diesel-Mofas mit bis zu 0,25 Liter auf 100 km auskommen.
Ich habe bereits Konsequenzen aus obigen Überlegungen gezogen und fahre ein deutlich energieeffizienteres Liegefahrrad. Aufgrund des geringen Energiebedarfes muss ich seither leider verstärkt auf kalorienarme Ernährung achten, um nicht zuzunehmen. Ferner deutet sich eine sinkende Hemmschwelle an, unnötige Fahrten anzutreten. Führen effizientere Fahrzeuge in letzter Konsequenz doch zu noch mehr Verkehr...?
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